MICHAEL SCHULTE: BITTE ERZÄHLEN SIE UNS, WIE SIE MIT DEM THEMA BÖRSE IN BERÜHRUNG GEKOMMEN SIND.
Schulte: Oh je, das ist lange her. Wirtschaft hat mich schon in jungen Jahren fasziniert, und es war der Black Monday 1987, der so richtig Faszination in mir ausgelöst hat, sodass ich angefangen habe, mich mit der Börse zu beschäftigen. Da hat es mich in den Fingern gejuckt, nur hatte ich als Student, der gerade seinen Abschluss gemacht hatte und seinen ersten Job bei IBM antrat, kein Geld frei, um aktiv zu werden. Dabei habe ich früh die Bedeutung von Mindset Techniken für Trader erkannt, die mir geholfen haben, meine Gedanken und Strategien weiterzuentwickeln.
MICHAEL SCHULTE: KÖNNEN SIE SICH AN IHRE ERSTEN INVESTMENTS ERINNERN? WIE SIND SIE DABEI VORGEGANGEN, UND WAS WAREN IHRE ERSTEN EINDRÜCKE?
Schulte: Richtig erinnern nein, das ist 30 Jahre her. Aber ich bin recht sicher, dass ich genauso naiv vorgegangen bin, wie fast jeder Anfänger. Ich habe also irgendwo einen interessanten Artikel gelesen, der dann den „Muss ich haben“-Reflex ausgelöst hat. Dass ich damit eher der Letzte bin, den die Hunde fressen, habe ich erst später erkannt. Die Mindset Techniken für Trader, die ich heute anwende, haben sich in diesen frühen Jahren noch nicht entwickelt.
MICHAEL SCHULTE: WORAN HABEN SIE SICH ANFANGS ORIENTIERT UND WIE GUT HAT DAS FUNKTIONIERT?
Schulte: Auch wie fast alle habe ich mich am Anfang nur an Magazinen und mir selber orientiert. Kurz gesagt: Ich war wie die meisten Anfänger der irrigen Ansicht, dass ich einen Vorteil gegenüber dem Markt habe, weil ich eine Meinung habe. Faszinierend, wie naiv man war, und faszinierend, wie praktisch jeder auch heute noch genauso anfängt. Die Mindset Techniken für Trader waren zu dieser Zeit noch nicht in meinem Fokus, und ich habe den Markt nicht richtig verstanden.
MICHAEL SCHULTE: WAS SIND DIE WICHTIGSTEN ERKENNTNISSE, ZU DENEN SIE IM LAUF DER JAHRE GELANGT SIND?
Schulte: Das sind ganz, ganz viele – unmöglich zu sagen, was die wichtigsten sind. Vielleicht die Wissen, dass der Markt in der Regel klüger ist als ich. Die Einsicht, dass Prognosen mehr dem eigenen Ego dienen als dem Erfolg. Die Erfahrung, dass Disziplin und harte Arbeit die Grundvoraussetzungen für Erfolg am Markt sind, und das Bewusstsein der Reflexivität, die den Markt so dynamisch und zu so einem harten Gegner macht. Die Mindset Techniken für Trader haben mir geholfen, diese Wahrnehmung tiefer zu verstehen und erfolgreicher zu handeln.
MICHAEL SCHULTE: GIBT ES EINZELNE TRADES MIT BESONDEREN (BRENZLIGEN) LEKTIONEN, DIE SICH BIS HEUTE IN IHR GEDÄCHTNIS EINGEBRANNT HABEN? WELCHE WAREN DAS UND WAS HABEN SIE RICHTIG/FALSCH GEMACHT?
Schulte: Natürlich, jede Menge. Ein gutes Beispiel war mein Umgang mit der Internetblase zur Jahrtausendwende. Ich hatte zwar damals erkannt, dass viele der hochgelobten Internetfirmen nur heiße Luft waren. Auch hatte ich aus Gründen des Risiko-Managements einige meiner Positionen verkauft. Insofern war das schon mal nicht schlecht. Aber bei den verbleibenden Aktien wie SAP, Adobe oder Microsoft blieb ich weiter investiert, da ich von den Unternehmen aus fundamentaler Sicht überzeugt war. Ich dachte, mit diesen soliden Aktien könne ja nichts passieren. Grundsätzlich war das ja auch gar nicht falsch – deren Kurse stehen schließlich heute viel höher.
Trotzdem wurde ich nervös, als auch einige dieser Bluechips um mehr als die Hälfte gefallen waren. Der Fehler war, kein frühzeitiges, konsequentes Risiko-Management zu haben und zu sehr auf die fundamentale Substanz zu vertrauen. Meine heutigen Mindset Techniken für Trader haben mir geholfen, solche Fehler zu vermeiden, indem ich konsequenter und flexibler im Umgang mit Risiken werde. Allerdings konnte ich daraus lernen. Beim Crash im Jahr 2008 machte ich dann vieles richtig, war rechtzeitig komplett raus und bin dann 2009 wieder konsequent eingestiegen.
Reflexivität
Ein System wie die Börse ist reflexiv, wenn keine klare Kausalität zwischen Ursache und Wirkung existiert. Dieser Effekt entsteht dadurch, dass sich das System selbst durch das Verhalten seiner Akteure und der dadurch ausgelösten Rückkopplungsbeziehungen verändert.
MICHAEL SCHULTE: MIT WELCHER GRUNDSÄTZLICHEN PHILOSOPHIE GEHEN SIE HEUTE AN IHR RESEARCH HERAN?
Schulte: Der Philosophie, dass fundamentaler Research nur begrenzten Wert hat. Nein ernsthaft, nicht ganz so extrem. Aber ich habe schon die Erkenntnis, dass selbst ich mit meinem Background als Unternehmer und Top-Manager und trotz der Zeit, die ich für den Markt verwende, auf der fundamentalen Seite in der Regel keinen wirklichen Vorteil gegenüber dem klugen Markt erreichen kann. Der weiß meistens mehr als ich, außer ich bin echter Insider. Dann muss man bei mir noch zwischen Investment und Trading unterscheiden. Ich halte Investments und Trades völlig getrennt und agiere auf beiden Seiten auch mit völlig unterschiedlichen Techniken.
In meiner Trading-Philosophie sind die Mindset Techniken für Trader heute ein zentraler Bestandteil, um den Markt besser zu verstehen und meine Strategien anzupassen. Mein Research bei Trades richtet sich auf den Markt selbst. Ich scanne den Markt nach bestimmten Beuteschemata. Ich versuche dabei Unternehmen früh zu identifizieren, die der Markt zu lieben beginnt, und dann sattle ich früh auf den Trend auf. Bei Tesla ist mir das zum Beispiel schon im Jahr 2012 gelungen. Um diese Unternehmen zu identifizieren, hilft mir der Markt. Frühe Volumenschübe sind zum Beispiel ein Indikator, den ich immer im Auge habe.
MICHAEL SCHULTE: UND WIE GEHEN SIE AUF DER INVESTMENTSEITE VOR?
Schulte: Hier operiere ich mit einem Mix aus fundamentaler Selektion und gelassenem Timing nach Markttechnik. Aktien, in die ich investiere, selektiere ich mit fundamentalem Blick auf das Geschäftsmodell. Ich suche dabei nicht nach hoher Ausschüttung, sondern nach beständigem Wachstum, das im Geschäftsmodell angelegt und ihm inhärent ist. Die im Blog mehrfach thematisierten Namen wie Thermo Fisher Scientific (TMO) oder Danaher (DHR) sind Beispiele, die bei mir den Qualitätscheck bestanden haben und ins Investmentuniversum dürfen. Meine Mindset Techniken für Trader helfen mir, auch bei der Investitionsentscheidung ruhig und analytisch zu bleiben.
Die wichtigen Fragen, wann und in welchem Umfang ich in diese Aktien investiere, entscheide ich primär über die Markttechnik ganz gelassen auf Basis von Wochenkerzen nach den Prinzipien der Trendfolge. Dabei steige ich aus Werten, die fundamental gut sind, nie ganz aus. Stattdessen skaliere ich mein Long Exposure je nach aktueller Lage mit meiner Positionsgrößenstrategie. Diese Technik erlaubt bei kurzfristigem Schluckauf des Marktes auch das schnelle Hedging des Gesamtdepots mit Short-Positionen auf Index-ETFs.
MICHAEL SCHULTE: WELCHE DINGE SEHEN SIE (ERFAHRUNGSGEMÄSS) ANDERS ALS DIE MEISTEN MARKTTEILNEHMER UND WELCHEN VORTEIL BRINGEN IHNEN DIESE SICHTWEISEN?
Schulte: Wenn Sie mit „die meisten“ das „meiste Geld“ im Sinne des Big Money meinen, dann bekämpfe ich diese nicht und leiste mir auch keine abweichenden Meinungen, sondern versuche, mit dem großen Geld mitzugehen. Ich folge demütig dem Markt. Das ist eine Grundregel – und die Big Player machen eben den Markt. Wenn Sie mit „die meisten“ den normalen Anleger meinen, dann unterscheidet mich die Überzeugung, dass sie einem von den Medien anerzogenen Prognosezwang unterliegen. Die Mindset Techniken für Trader helfen mir, diese vom Markt manipulierten Prognosen zu erkennen und von ihnen unabhängig zu bleiben. Prognosen wärmen das Ego und vermitteln eine Pseudosicherheit, die eher ein Kontraindikator und ganz grundsätzlich wertlos bis hinderlich ist. Der Vorteil, den mir diese Sichtweise bringt, ist offensichtlich: Ich verdiene in der Regel gutes Geld im Markt. Von der Mehrheit der normalen Anleger kann man das leider nicht sagen.
MICHAEL SCHULTE: WELCHE VORTEILE HABEN PRIVATE TRADER HEUTZUTAGE EIGENTLICH ÜBERHAUPT?
Schulte: Im Gegensatz zum gerne angestimmten Gejammer, dass früher alles besser war, haben private Trader in der Gegenwart historisch die beste Ausgangslage, die es je gab. Das liegt am Aufstieg der Computer und dass nun für jeden praktisch jede Information mit einem Fingerschnippen verfügbar ist. Nehmen Sie den Vorteil, den sich Benjamin Graham damals mit viel Fleiß in staubigen Bibliotheken erarbeitet hat, indem er die alten Bilanzen von Firmen analysierte. Dieser Vorteil (Edge) existiert heute nicht mehr, weil all das nicht nur elektronisch verfügbar, sondern sogar hervorragend aufbereitet angeboten wird.
Der Informationsunterschied zwischen institutionellen und privaten Anlegern ist zwar immer noch da, er ist aber so klein wie noch nie in der Börsengeschichte. Und in der Markttechnik hat der private Anleger gar keinen Nachteil mehr. Durch gezielte Mindset Techniken für Trader können private Trader ihre Flexibilität und Reaktionsfähigkeit nutzen, um Vorteile zu erlangen. Im Gegenteil: Der private Anleger kann viel flexibler und ohne Rechtfertigung Dritten gegenüber frei agieren – er hat es damit sogar leichter als ein typischer von MiFID und ähnlichen Regulierungsvorschriften gequälter Fondsmanager.
B1 Investmentbeispiel Thermo Fisher Scientific
Auf der Investmentseite operiert Michael Schulte mit einem Mix aus fundamentaler Selektion und gelassenem Timing nach Markttechnik. Der Chart zeigt exemplarisch die Aktie von Thermo Fisher Scientific (TMO), die seinen Qualitätscheck Ende 2009 bestanden hat und seitdem in seinem Investmentuniversum ist. Quelle: www.tradesignalonline.com
MICHAEL SCHULTE: WELCHEN STELLENWERT MESSEN SIE DER TECHNISCHEN SOWIE FUNDAMENTALEN ANALYSE INSGESAMT BEI?
Schulte: Es ist schwer, darauf eine seriöse Antwort in wenigen Sätzen zu geben. Es beginnt schon damit, dass man unterscheiden muss, wofür eine Analyse eingesetzt wird. Wenn ich eine Aktie als langfristiges Investment kaufe, um mich über Jahre an den Erträgen zu erfreuen, spielen ganz andere Kriterien eine Rolle, als wenn ich einen mehrwöchigen Swing Trade mache. Ganz grundsätzlich bezweifele ich, dass man als normaler Anleger mit vertretbarem Aufwand ohne Insider-Wissen einen Edge auf der fundamentalen Seite erzielen kann. Der Markt weiß das in der Regel auch schon, was man selber herausfinden will und kann. Trotzdem spielen bei mir fundamentale Erwägungen bei Investments (nicht bei Trades) eine Rolle.
Wie vorhin schon erklärt, bezieht sich das aber im Wesentlichen auf die Analyse des Geschäftsmodells, das beständiges Wachstum generieren sollte. Dabei gebe ich mich aber nicht der Illusion hin, dass mir die Analyse dieses Geschäftsmodells zum Markt einen Vorteil verschafft. Es ist mehr ein Doppelcheck, wenn ich einen anhaltend steigenden Chart sehe. Dann überprüfe ich, ob das Geschäftsmodell der Treiber dieses Anstiegs ist und nicht etwas anderes, was vielleicht morgen wieder zusammenbricht. Grundsätzlich gilt aber, dass ich mir meinen Edge nicht auf der fundamentalen Seite erarbeite, sondern mit der Markttechnik, die mir zu verstehen hilft, was der Markt will. Und wenn man weiß, was der Markt will, was er liebt und hasst, dann kann man dem sehr profitabel folgen.
B2 Investmentbeispiel Danaher
Eine weitere Aktie, die den Qualitätscheck von Michael Schulte schon 2004 bestanden hat, ist Danaher (DHR). In der Positionsgröße adjustiert werden vorselektierte Aktien auf der Investmentseite wie Thermo Fisher Scientific (Bild 1) oder Danaher dann nach Markttechnik. Quelle: www.tradesignalonline.com
MICHAEL SCHULTE: KÖNNEN SIE UNS IHR VERSTÄNDNIS UND IHRE ANWENDUNG DER MARKTTECHNIK BITTE ERKLÄREN?
Schulte: Ich kann höchstens ansatzweise versuchen, ein paar Grundzüge zu erklären. Allein über Teilaspekte der Markttechnik werden schließlich ganze Bücher geschrieben. Grundsätzlich bin ich ein Fan des Prinzips, die Dinge möglichst einfach zu halten (keep it simple, stupid – kurz KISS). Statt unzähliger Indikatoren achte ich primär auf die beiden Kerninformationen – den Kurs und das Volumen –, die zusammen die sogenannte Price Action ergeben. Hier versuche ich aber nicht die Zukunft zu erraten, sondern erkenne und folge Situationen und Mustern, wenn sie tatsächlich passiert sind. Ich bin also ein wenig ein Pattern Trader, der stark mit Mustererkennung operiert.
Ich fixiere mich aber nicht dauerhaft auf eine Technik oder ein Muster, da der Markt wie schon gesagt reflexiv ist und jede Technik früher oder später unwirksam macht. Stattdessen bin ich sozusagen ein flexibler, beobachtender Opportunist, der interessante Gelegenheiten durch seine Erfahrung auf vielfältige Art und Weise erkennen und sich den wandelnden Marktgegebenheiten anpassen kann. Wenn Sie bekannte Namen hören wollen, mit denen mein Trading-Ansatz Schnittmengen hat, dann ist da eine Prise von William O’Neil dabei (wobei ich nicht mit zu kleinen Werten handle), etwas von Nicolas Darvas sowie später ein Einfluss durch Charles E. Kirk. Außerdem hatte ich vor Kurzem ein Buch von Mark Minervini in der Hand – auch da gibt es einige Schnittmengen.
B3 Deutlicher Volumenschub bei Tesla
Schon im Februar 2012 machte Michael Schulte seine erste Position in der Tesla-Aktie öffentlich, wie sich noch heute auf seinem Blog nachlesen lässt („Die Zukunft des Automobils in einer der spannendsten Aktien der Welt“). Das war zunächst fundamental motiviert. Der Chart zeigt später den plötzlichen deutlichen Umsatzanstieg im Mai 2013, als die Aktie zunehmend anstieg und damit ein klares Kaufsignal lieferte. Tatsächlich erfolgte der große Kursschub erst nach Auftreten dieses Hochschnellens im Handelsvolumen. Quelle: www.tradesignalonline.com
MICHAEL SCHULTE: GIBT ES DINGE, DIE SIE KOMPLETT AUSBLENDEN?
Schulte: Die Antwort ist andersherum. Ich blende alles (!) aus, was ich nicht explizit zulasse, weil es mir einen Mehrwert verschafft. Früher war die Hauptleistung privater Anleger, sich Informationen überhaupt zu besorgen. Heute werden wir mit Informationen überschüttet, die gezielt unser „Affenhirn“ ansprechen – zum Beispiel unser Belohnungszentrum –, um uns zu Klicks zu verleiten. Die Kunst heute ist, sich auf das Wichtige zu beschränken.
MICHAEL SCHULTE: WELCHEN STELLENWERT HAT DIE PSYCHOLOGIE AN DEN MÄRKTEN UND WIE NUTZEN SIE EMOTIONEN, UM IN DEN ENTSCHEIDENDEN MOMENTEN DIE RICHTIGEN ENTSCHEIDUNGEN ZU TREFFEN BEZIEHUNGSWEISE UM ZUVERMEIDEN, SELBST ZUM TEIL DER HERDE ZU WERDEN?
Schulte: Den größten Stellenwert überhaupt, weit vor allen anderen Erwägungen. Wenn normale Anleger nicht in der Lage sind, die Marktperformance mitzunehmen, schaut sie der Grund dafür in der Regel im Spiegel an. Wir reden im Blog auch intensiv über die diversen Fallen, denen wir da unterliegen, und fassen das gerne unter dem provokanten Begriff „Affenhirn“ zusammen. Damit sind all unsere automatischen Reflexe gemeint, die uns aus gutem Grund von der Evolution mitgegeben wurden, weil sie dem Überleben in der urzeitlichen Savanne äußerst dienlich waren. Und auch in unserem heutigen normalen Leben leisten uns diese Reflexe noch ausgezeichnete Dienste. Dummerweise funktioniert ein reflexiver, selbstreferentieller Markt völlig anders und unsere natürlichen Reflexe leiten uns in der Regel auf die falsche Bahn, wenn wir das nicht erkennen.
Dazu ein Beispiel:
Nehmen wir einen normalen Anleger, der noch nicht viel über seine eigene Psyche nachgedacht hat, und wie ich in den ersten Jahren noch glaubt, dass seine Meinung zu bestimmten Aktien einen Wert hätte. Nun nehmen wir zwei bekannte Bluechip-Aktien, die beide den Ruf eines im Kern soliden Unternehmens haben. Der erste Bluechip fällt und fällt. Man sieht im Chart ein Hoch vor drei Jahren, von dem aus die Aktie schon mehr als 50 Prozent verloren hat – und sie fällt weiter. Der zweite Bluechip steigt und steigt. Man sieht im Chart, dass die Aktie heute doppelt so hoch steht wie vor drei Jahren und nun auf einem Allzeithoch ist.
Ich garantiere Ihnen, dieser Anleger wird sich nicht trauen, den zuletzt genannten Bluechip zu kaufen, weil er vermeintlich schon zu hoch notiert. Er wird sich stattdessen mit Überzeugung als Bottom Fisher betätigen, den vermeintlich billigen gefallenen Bluechip kaufen und sich dabei wie ein neugeborener Warren Buffett fühlen. Die traurige, objektive Realität ist aber, dass die Wahrscheinlichkeit viel höher ist, dass der zuvor gestiegene Bluechip nach einem Jahr höher steht, als dass der zuvor gefallene Bluechip das schafft. Denn ein Trend ist ein Trend, bis er endet, und Stärke gebiert Stärke, ebenso wie Schwäche wieder zu Schwäche führt.
Wer erfolgreich sein will, muss hier also gegen die Eingebung unseres Affenhirns agieren. Dafür muss der Anleger dieses Problem aber erst einmal erkennen und akzeptieren.
MICHAEL SCHULTE: BEI ANALYSEN IST MEHR NICHT IMMER BESSER. WANN HÖREN SIE AUF ZU ÜBERLEGEN UND TREFFEN ENTSCHEIDUNGEN, STATT SICH BIS ZUR PARALYSE ZU VERFRANZEN?
Schulte: Ich mache überhaupt keine Überanalyse, das führt zu nichts. Mein Sprichwort dafür ist an den Fußball angelehnt: Die Wahrheit liegt auf dem Platz. Denn nur die Kursbewegungen, die tatsächlich stattfinden, können uns Gewinn bescheren. Und wenn man zu lange analysiert, hat sich die Situation schon verändert und der Markt weiterbewegt. Die Kunst des Markt-Timings ist nicht die Tiefe der Analyse, es ist die Schnelligkeit und Präzision, die wesentlichen Trends und Bewegungen zu erkennen.
MICHAEL SCHULTE: WIE SIEHT IHR TYPISCHER HANDELSTAG AUS?
Schulte: Es ist durch den Blog ein gemischter Handelstag, der aus Eigenhandel und (darüber) schreiben für Mr. Market besteht. Er beginnt gegen 08:00 Uhr mit der Vorbörse in Europa und dauert zunächst bis etwa 11:00 Uhr. Dann mache ich eine ausgedehnte Mittagspause, in der ich mich auch draußen bewege. Um spätestens 15:00 Uhr sitze ich wieder vorm Schirm um den Handel an den US-Märkten vorzubereiten. In der Regel bin ich bis 22:30 Uhr aktiv, wobei ich an ruhigen Tagen auch schon mal um 18:00 Uhr die Bücher zumache.
MICHAEL SCHULTE: MAN SAGT, DASS ES DIE GIBT, DIE ÜBER DEN MARKT SCHREIBEN, UND DIE, DIE MIT IHM GELD VERDIENEN – UND BEIDE GRUPPEN SIND NICHT IDENTISCH. WIE STEHEN SIE DAZU?
Schulte: Das ist sehr wahr und ich kann das bestätigen. Die große Mehrheit derer, die man permanent mit medialer Präsenz vom Markt reden hört, ist nicht wirklich aktiv beziehungsweise nicht erfolgreich. Das ist wie bei einem Eunuchen: Er kann zwar über den Akt sprechen, erlebt ihn aber nicht wirklich. Bei mir funktioniert es auch nur deshalb, weil ich aus dem Agieren und Schreiben im Blog eine Einheit mache. Ich lese also etwas, ziehe einen Schluss, handle und schreibe zum Beispiel darüber – alles als Teil ein und desselben Vorgangs. Trotzdem spüre ich den Gegensatz – und ganz offen gesagt: Seit ich im Blog regelmäßig schreibe, ist meine eigene Performance schlechter geworden. Was aber kein Wunder ist, weil mir damit Zeit genommen wird, die ich früher zum Beispiel für Scans verwendet habe.
Das, was die Mitglieder zahlen, ist also ein Ausgleich für die Zeit, die mir beim Eigenhandel fehlt. Man muss immer darauf achten, die Balance zwischen beiden Polen zu erhalten. Trotzdem liebe ich diese Dualität und nehme die Nachteile gerne in Kauf, denn es ist schön zu handeln, aber eben auch, sich mit anderen darüber auszutauschen.
MICHAEL SCHULTE: MIT WELCHEN KONKRETEN SETUPS UND STRATEGIEN HANDELN SIE?
Schulte: Die Methoden wechseln über die Jahre, weil der Markt sich verändert. Ein Beispiel sind die V-Reversals, die seit zwei Jahren oft auftreten, während sie in den Jahrzehnten davor eher die Ausnahme waren. Die Methoden komplett zu erklären, wäre Thema mehrerer ganzer Artikel. Dazu kommt, dass wegen der Wandelbarkeit des Marktes geistige Flexibilität eine Kerntugend ist.
Insofern kann ich nur ein Beispiel herausgreifen, das eine Technik andeutet, mit der ich seit Jahren im Trading-Bereich viele Erfolge hatte und noch habe. Es ist das Prinzip des ersten Volumenschubs, auf den man aufsattelt. Das Muster hat drei einfache Bedingungen:
- Die Aktie hat eine lange Bodenbildung oder Konsolidierungsformation hingelegt. Sprich, die Aktie ist lange seitwärts gelaufen, ohne dass damit viel zu holen war.
- Dann kommt (oft mit einer Nachricht) ein großer Kursschub nach oben, der mindestens fünf, besser zehn Prozent und mehr beträgt.
- Der Schub muss zwingend mit einem deutlichen Volumenanstieg unterlegt sein.
Wenn alle drei Bedingungen zutreffen, sind die Chancen sehr gut, dass dieser erste Schub zu kaufen ist und den Beginn einer nachhaltigen Stärkephase darstellt. Gerade nach Quartalszahlen findet man oft solche Schübe, deren nachfolgende Stärke man dann auch einen „Post Earnings Drift“ in Richtung des Schubes nennen kann.
B4 Trading-Beispiel Nvidia
Der Chart zeigt die Aktie von Nvidia (NVDA) als Beispiel für die Volumenschubstrategie von Michael Schulte. Nach einer Seitwärtsbewegung gab es im Jahr 2016 einen großen, hochvolumigen Kursschub infolge positiver Nachrichten. In dieser Situation stehen die Chancen sehr gut, dass dieser erste Schub den Beginn einer nachhaltigen Stärkephase darstellt. Quelle: www.tradesignalonline.com
Ich kann dazu viele erfolgreiche Beispiele bringen. In Bild 4 und 5 sind zwei davon zu sehen. In jedem der Fälle war es wertlos, vorher herumzuraten und zu überanalysieren, was passieren könnte. Man sollte die Energie darauf richten, diesen ersten Schub zu erkennen und aufzusatteln, nachdem (!) er stattgefunden hat. Wer das beispielsweise bei der Nvidia-Aktie gemacht hat, kann sich wirklich freuen. Die Wahrheit liegt eben auf dem Platz und dem Markt zu folgen, ist profitabler, als mit ständigen Prognosen das eigene Ego zu bedienen.
B5 Trading-Beispiel Exact Sciences
Die Aktie von Exact Sciences (EXAS) ist ein weiteres Beispiel für die Volumenschubstrategie. Dabei ist es wichtig zu erkennen, dass es wertlos ist, vor der entscheidenden Nachricht herumzuraten und zu überanalysieren, was passieren könnte, denn wir kennen die Zukunft nie. Richten Sie Ihre Energie lieber darauf, diesen ersten Schub zu erkennen und aufzusatteln, nachdem er stattgefunden hat. Quelle: www.tradesignalonline.com
MICHAEL SCHULTE: WIE SIEHT IHR RISIKO-MANAGEMENT AUS, SOWOHL IN BEZUG AUF EINZELPOSITIONEN ALS AUCH IM PORTFOLIOKONTEXT?
Schulte: Mein Risiko-Management ist komplex, für Investments und Trades unterschiedlich und baut auf verschiedenen Prinzipien auf. Nur ganz kurz und oberflächlich: Im Investmentbereich verwende ich die sogenannte Positionsgrößenstrategie. Mit der halte ich Aktien, die ich fundamental mag, zwar dauerhaft, skaliere aber je nach technischer Marktlage die Positionsgrößen nach einem festen System rauf und runter. Das Risiko-Management im Investmentbereich erfolgt also nicht über Stopps, sondern primär über die Investitionsquote beziehungsweise umgekehrt die Cash-Quote. In schwierigen Marktphasen bin ich dann vielleicht nur zu 20 bis 40 Prozent Long mit meinen Investments im Markt. Bei ganz kurzfristigen Verwerfungen greife ich auch zum Hedging via Index- Shorts und kann in extremen Fällen wie im Jahr 2008 auch mal netto Short sein.
Im Trading-Bereich agiere ich ganz normal mit Stopps, die ich bei Long Trades in der Regel nach dem Prinzip der Trendfolge (letztes Tief) setze. Zu Beginn eines Trades passe ich sie händisch an, aber lege die Order nicht in den Markt. Ich habe also meinen Ausstiegspunkt im Kopf, aber möchte nicht durch ein falsches Antäuschen des Kurses sofort wieder ausgestoppt werden. Gegen Ende eines Trades wechsle ich oft auf tatsächlich im Markt liegende Trailing-Stopps, mit denen ich die letzten Prozent mitnehmen will.
MICHAEL SCHULTE: WAS WÜRDEN SIE EINSTEIGERN ALLGEMEIN EMPFEHLEN?
Schulte: Ein guter Trader kann man nicht mit Theorie werden, man muss einfach ein paarmal auf die heiße Herdplatte fassen, um sein Verhalten zu ändern. Dabei können gezielte Mindset-Techniken für Trader helfen, das richtige Bewusstsein zu entwickeln und dauerhaft zu verbessern. Und eine Verhaltensänderung ist notwendig, denn ich garantiere jedem jungen Trader, dass das natürliche Verhalten, das unser Affenhirn nahelegt, zuverlässig zu Verlusten führt und nicht zu Gewinnen.
Um am Markt Erfolg haben zu können, muss man also anders zu denken lernen und eine Verhaltensänderung gegenüber dem entwickeln, was uns intuitiv oft logisch erscheint. Das Beispiel von vorhin, dass die „teure“ Aktie auf Allzeithoch der „billigen“ mit Kurshalbierung vorzuziehen ist, ist ein einfaches Beispiel für diesen Erkenntnisprozess.
Damit diese Verhaltensänderung dann aber auch wirklich in die richtige Richtung stattfindet, ist die absolut zentrale Entscheidung, sich die richtigen seriösen Quellen zu suchen und idealerweise einen Mentor zu finden, der weiß, was er tut. Wichtig ist jemanden zu finden, der wirklich selber aktiv ist und sein Geld nicht wie ein Eunuch nur mit dem Schreiben über den Akt verdient. Das wird die Fehler nicht völlig unterbinden, die wir alle gemacht haben und alle machen müssen. Es wird aber das Lernen beschleunigen und den Anfänger vor den schlimmsten monetären Folgen bewahren.
Der Original-Artikel erschien in der Ausgabe 08.2018 im Magazin TRADERS´. Da es sich um einen historischen Beitrag handelt, können sich Personen-, Firmen- und Produktdaten, Webseiten, Software, Strategien, Marktphasen, gesetzliche Regelungen und anderes verändert haben bzw. ungültig geworden sein. Die Aktualität des Artikels bezieht sich somit stets auf das Erscheinungsdatum.
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