"Prof. Avi Wohl: Akademische Erkenntnisse für Privatanleger"

Prof. Avi Wohl: PROFESSOR WOHL, SIE HABEN IM LAUF DER JAHRE ZUSAMMEN MIT ANDEREN FORSCHERN EINIGE PRAXISRELEVANTE PAPER VERÖFFENTLICHT. EINES DER JÜNGSTEN BESCHÄFTIGT SICH DAMIT, WELCHE KOSTEN PRIVATANLEGERN IM RAHMEN IHRER ORDERAUSFÜHRUNGEN TATSÄCHLICH ENTSTEHEN („EXECUTION COSTS OF SMALL RETAIL STOCK INVESTORS“). ZU WELCHEM ERGEBNIS SIND SIE GEKOMMEN?

Wohl: Diese Studie ist interessant, da oft angenommen wird, dass Privatanleger draufzahlen, sei es wegen hoher Spreads oder nicht optimaler Orderarten. Zusammen mit meinem Mitautor Menachem Abudy habe ich dazu den israelischen Aktienmarkt anhand eines Datensatzes untersucht, mit dem sich diese Frage im Detail untersuchen lässt. Wie zu erwarten war, konnten wir belegen, dass die Ausführungskosten im Durchschnitt das Anlageergebnis negativ belasten. Diese Ausführungskosten sind besonders relevant im Kontext von Kapitalflüsse und Preisdruck. Allerdings sind diese Kosten recht gering. Das zeigt, dass Privatanleger in der Realität nicht so naiv sind wie vermutet. Sie nutzen beispielsweise Limit-Orders und verschieben ihre Trades auf einen späteren Zeitpunkt, wenn die Spreads gerade groß sind. Dadurch halten sich die Kosten durchaus in Grenzen.

Prof. Avi Wohl: ALLERDINGS WERDEN PRIVATANLEGERN OFT VERHALTENSBASIERTE FEHLER NACHGESAGT. IST DAS AUCH IHRE INTERPRETATION?

Wohl: Ja, durchaus, das ist wohl ein universelles Phänomen. Viele Kapitalflüsse und Preisdruck, die in und aus Aktienfonds entstehen, sind nicht gerade von Logik getrieben. Viele Kapitalflüsse in und aus Aktienfonds sind nicht gerade von Logik getrieben. Das weiß ich bereits aus meiner früheren Arbeit bei einem Fonds. Die meisten Anleger sehen oder hören irgendetwas und bilden sich dann eine Meinung, die aber selten wirklich objektiv ist, weil sie nur auf einem kleinen Ausschnitt der verfügbaren Informationen beruht. Und oft verlieren sie mit ihren darauf basierenden (unüberlegten) Entscheidungen am Ende Geld oder schneiden zumindest schlechter ab als der Markt.


B1 Ausführungskosten nach Handelsvolumen

Die Grafik zeigt die durchschnittlichen Ausführungskosten im fortlaufenden Handel an der Tel Aviv Stock Exchange (TASE) im Jahr 2012. Investoren wurden dazu anhand ihres gesamten jährlichen Handelsvolumens in Gruppen unterteilt. In Anbetracht der Kapitalflüsse und des Preisdrucks zeigen die Kosten, dass sie niedriger liegen als häufig vermutet. Die Kosten liegen niedriger als häufig vermutet.

Quelle: Abudy, M./Wohl, A. (2016), Execution Costs of Small Retail Stock Investors, Working Paper

Prof. Avi Wohl: IN DER STUDIE „THE PRICE PRESSURE OF AGGREGATE MUTUAL FUND FLOWS“ HABEN SIE SOLCHE KAPITALFLÜSSE ZUSAMMEN MIT IHREN MITAUTOREN AZI BEN-REPHAEL UND SHMUEL KANDEL EMPIRISCH UNTERSUCHT. WAS WAREN DIE ERGEBNISSE?

Wohl: Dieses Paper ist durchaus interessant für Privatanleger. Wir haben herausgefunden, dass es eine deutliche Tendenz der Kapitalflüsse gibt, Preisdruck auszuüben, der dann wieder teilweise korrigiert wird. Zunächst sind die Flows zwar kurzfristig autokorreliert, was bedeutet, dass Zuflüssen eher weitere Zuflüsse und Abflüssen eher weitere Abflüsse folgen. Drei Tage nach großen Flow-Spitzen kehren sich die Kurse aber im Durchschnitt um und sorgen für die Korrektur der Bewegung. Nach zehn Tagen ist im Mittel die Hälfte der initialen Preisbewegung korrigiert. Dies zeigt, dass das Marktrauschen nicht nur bei einzelnen Aktien und im Intraday-Bereich, sondern auch für den Gesamtmarkt auf Tages- und Wochenbasis existiert. Man kann nach einer durch Kapitalflüsse getriebenen Bewegung also eine Gegenbewegung abwarten, statt sofort noch zu kaufen oder zu verkaufen. Damit sollten Anleger im Durchschnitt besser fahren.

Prof. Avi Wohl: WIE SIEHT ES MIT REVERSALS AUF LÄNGERE SICHT AUS?

Wohl: Das habe ich zusammen mit denselben Co-Autoren wie in der zuletzt genannten Studie im Paper „Measuring Investor Sentiment with Mutual Fund Flows“ untersucht, die im Journal of Financial Economics veröffentlicht wurde. Dazu haben wir vereinfacht ausgedrückt den Wechsel zwischen Aktien- und Anleihe-Fonds analysiert. Wir interpretieren unsere Ergebnisse so, dass sich das Marktrauschen langfristig vor allem durch das Sentiment erklären lässt. Kapitalflüsse und Preisdruck spielen eine bedeutende Rolle bei der Bestimmung der langfristigen Umkehreffekte. Der Renditeanteil, der durch den Wechsel zwischen Aktien und Anleihen erklärt wird, kehrt sich nach vier Monaten zu 85 Prozent um. Obwohl also die Bewegung des Gesamtmarktes einem Random Walk sehr nahekommt, gibt es doch Umkehreffekte, die systematisch immer wieder auftreten. Für Anleger heißt das: Sie können auch bei langfristigen Strategien gewisse Korrekturen des Marktes abwarten.

Prof. Avi Wohl: DAZU MÜSSEN SIE ABER ZUNÄCHST DIE KAPITALFLÜSSE KENNEN UND UNTERSUCHEN. IST DAS DENN SO EINFACH MÖGLICH?

Wohl: Die Daten sind offiziell verfügbar. Sie werden am Ende des jeweiligen Folgemonats vom Investment Company Institute (ICI) bekanntgegeben. Eine gründliche Untersuchung der Kapitalflüsse und des Preisdrucks kann hilfreich sein, um fundierte Entscheidungen zu treffen. In unserem Paper steht, wie man das Ganze genau analysieren kann. Leider lässt sich das nicht einfach in einem Satz zusammenfassen, es ist also etwas Arbeit. Ich denke aber, dass sich mit einer solchen Analyse durchaus ein kleiner Vorteil erzielen lässt, indem zum Beispiel die Asset Allocation im Zeitablauf je nach Verlauf der Flows mit einem höheren oder niedrigeren Aktienanteil gewählt wird.

Prof. Avi Wohl: WELCHE DINGE HABEN SIE NOCH UNTERSUCHT, DIE FÜR ANLEGER RELEVANT SEIN KÖNNTEN?

Wohl: Zusammen mit Azi Ben-Rephael und Jacob Oded habe ich untersucht, wie die Aktienrückkäufe von Unternehmen getimt sind („Do Firms Buy Their Stocks at Bargain Prices?“). Dazu haben wir die quartalsweisen Angaben der Unternehmen analysiert. Das Ergebnis: Die Rückkäufe haben deutlich bessere Renditen als der Markt. Das Problem dabei: Nach unseren Erkenntnissen geht dies zu Lasten der uninformierten Anleger. Denn die Unternehmen können schon während des Quartals zurückkaufen, was am Markt aber erst zum Quartalsbericht bekannt wird und dann zum genannten Renditeeffekt führt. Hier sollte also stärker reguliert werden, dass Rückkäufe möglichst zeitnah bekanntgegeben werden müssen. Das Gleiche gilt für auch für Insiderkäufe.


B2 Handelsstrategie auf Basis der Flows

Die Grafik zeigt die Simulation einer Flow-basierten Strategie. Dazu benötigen wir den im ICI-Report berichteten Wert für „Net Exchanges“ (genaue Details dazu sind im als Quelle genannten Research-Paper zu finden). Zu Beginn jedes Monats schauen wir auf das Vorzeichen der Summe der Differenzen gegenüber den Werten vor zwei, drei und vier Monaten. Wenn diese Summe ein negativer Wert ist, so waren Nettomittelabflüsse aus Aktien zu verzeichnen. Die Idee ist nun, das Gegenteil zu tun, also in Aktien zu investieren. Ist die Summe positiv, gab es also Nettomittelzuflüsse, investiert die Strategie in Treasury Bills. Durch die Analyse von Kapitalflüssen und Preisdruck können Anleger die Strategie entsprechend anpassen. Die grüne Linie zeigt die Performance dieser Strategie im Vergleich zum Marktportfolio (gestrichelte Linie) sowie zur Strategie auf Basis konstanter Gewichtungen anhand des Kapitalflussindikators (graue Linie).

Quelle: Ben-Rephael, A./Kandel, S./Wohl, A. (2012), Measuring Investor Sentiment with Mutual Fund Flows, Presentation Slides

Prof. Avi Wohl: KÖNNEN SIE UNS BITTE NOCH DIE ERGEBNISSE DER STUDIE ZUR LIQUIDITÄTSPRÄMIE VERRATEN?

Wohl: Sehr gern. Das Paper heißt „The Diminishing Liquidity Premium“ und wurde im Jahr 2009 als bestes Paper der Western Finance Association, der wichtigsten akademischen Jahreskonferenz der Finanzwirtschaft, ausgezeichnet. Zusammen mit Azi Ben-Rephael und Ohad Kadan habe ich es im Journal of Financial and Quantitative Analysis veröffentlicht. Wir zeigen darin, dass die charakteristische Liquiditätsprämie am US-Markt heute praktisch nicht mehr existiert. Sie hat über die letzten vier Jahrzehnte ebenso wie die Transaktionskosten stark abgenommen, während gleichzeitig Handelsaktivität und Liquidität deutlich gestiegen sind. Es ist sogar so, dass die Liquiditätsprämie stärker abgenommen hat, als die Liquidität zunahm. Das bedeutet, dass viele Aktien zwar nicht völlig liquide sind, aber dennoch keine Liquiditätsprämie aufweisen. Nur für die kleinsten Nasdaq-Aktien und Pennystocks gibt es noch eine Liquiditätsprämie.


B3 Keine Liquiditätsprämie mehr

Diese Abbildung zeigt den Verlauf eines Proxies (Amihud-Methode, 10-Jahres-Durchschnittswerte) für die Liquiditätsprämie von 1931 bis 2011. Es wird deutlich, dass diese im Zeitablauf extrem abgenommen hat und heute praktisch nicht mehr existiert.

Quelle: Rephael, A. B./Kadan, O./Wohl, A. (2015), The Diminishing Liquidity Premium, Journal of Financial and Quantitative Analysis Vol. 50

Prof. Avi Wohl: VIELEN DANK FÜR DIESEN ÜBERBLICK ZU IHREN FORSCHUNGSERGEBNISSEN. DÜRFEN WIR FRAGEN, OB UND WIE SIE SELBST DIE EFFEKTE IN DER PRAXIS ANWENDEN, DIE SIE IM RAHMEN IHRER UNTERSUCHUNGEN ENTDECKEN?

Wohl: Ich nutze sie selbst nicht aktiv, sondern investiere passiv in ein breit gestreutes Aktienportfolio. Die empirische Arbeit mit Finanzmarktdaten ist das, was ich kann und was mir Spaß macht. Es ist einfach faszinierend, die Finanzmärkte zu analysieren. In der Praxis können jedoch Erkenntnisse über Kapitalflüsse und Preisdruck wertvolle Hinweise für Investitionsstrategien geben. Was meine Erkenntnisse angeht, so biete ich sie im Rahmen meiner Consulting-Tätigkeit einem Fonds an. Dort werden diese Dinge dann in die Entscheidungsfindung einbezogen.

Prof. Avi Wohl: SIE HABEN SICH VIELE JAHRE EMPIRISCH MIT FINANZMARKTDATEN BESCHÄFTIGT UND SICHER EINIGE MUSTER BEOBACHTEN KÖNNEN. WAS IST AUS IHRER SICHT EIN HÄUFIGER FEHLER VIELER ANLEGER?

Wohl: Die meisten Privatanleger entscheiden zu informal und betreiben keine rigorose Analyse. Für viele ist es wohl das Beste, wenn sie einfach breit gestreut in ein internationales Aktienportfolio investieren, also einen passiven Ansatz verfolgen, statt zu versuchen, den Markt zu timen. Denn um am Markt einen realen Vorteil zu haben, muss man ein echter Experte sein.

Prof. Avi Wohl: KÖNNEN AKADEMISCHE STUDIEN SOLCHE VORTEILE AUFDECKEN?

Wohl: Es gibt einige Renditeeffekte an den Märkten, die in Studien nachgewiesen wurden. Allerdings sind nicht alle Papers wirklich praxisrelevant. Das große Ziel der akademischen Forschung ist es schließlich nicht, Geld am Markt zu verdienen, sondern wissenschaftliche Fragen zu beantworten. Daran richtet sich das Research aus. Hinzu kommt, dass bei vielen Themen auch unter Akademikern, die ja Experten sind, Uneinigkeit über die Signifikanz und Bedeutung einzelner Ergebnisse herrscht.

I1 Besonderheiten am israelischen Finanzmarkt

In Israel gibt es eine interessante Besonderheit beim Handel mit Unternehmensanleihen. In den meisten Ländern läuft dieser überwiegend außerbörslich (over the counter; kurz: OTC) und mehr oder weniger nur über institutionelle Teilnehmer. Das ist historisch so gewachsen und hat sich dann durch das einmal bestehende Handelsvolumen verfestigt, sodass heute der Anreiz fehlt, diese Anleihen im Börsenhandel an den Start zu bringen. Nicht so in Israel. Hier wurden Unternehmensanleihen schon immer an der Börse gehandelt. Dabei ist zum einen die Liquidität sehr hoch. Sie übertrifft nicht nur die Liquidität des Aktienhandels in Israel, sondern auch jene des OTC-Handels mit Unternehmensanleihen in den USA und Europa! Der hohe Anteil an Privatanlegern beeinflusst Kapitalflüsse und Preisdruck und führt zu besserer Liquidität und niedrigeren Spreads. Zum anderen ist es durch den Börsenhandel so, dass auch viele Privatanleger an Investitionen in Unternehmensanleihen interessiert sind und sogar stärker in diese investieren als in Aktien. Der hohe Anteil an Privatanlegern führt wiederum zu besserer Liquidität und niedrigeren Spreads.


Der Original-Artikel erschien in der Ausgabe 04.2018 im Magazin TRADERS´. Da es sich um einen historischen Beitrag handelt, können sich Personen-, Firmen- und Produktdaten, Webseiten, Software, Strategien, Marktphasen, gesetzliche Regelungen und anderes verändert haben bzw. ungültig geworden sein. Die Aktualität des Artikels bezieht sich somit stets auf das Erscheinungsdatum.

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