Was sagt uns das Short Interest?
Zunächst geht es um die Frage, ob zwischen der Höhe an Short Interest und der nachfolgenden Kursbewegung überhaupt ein nennenswerter Zusammenhang besteht. Dazu schauen wir uns zunächst die Studie „Short Interest, Institutional Ownership, and Stock Returns“ an. Die Forscher Paul Asquith, Parag A. Pathak und Jay R. Ritter definieren darin das Short Interest als Näherungswert für die Nachfrage nach Short-Positionen, während der Anteil institutioneller Investoren am Gesamtaktienbestand (Institutional Ownership) das mögliche Angebot zur Umsetzung von Short-Positionen beschreibt. Das klingt nachvollziehbar, da in der Regel nur Aktien leerverkauft werden können, die zuvor geliehen wurden – und die Leihe erfolgt in der Regel von längerfristig positionierten institutionellen Anlegern, die mit den entsprechenden Leihgebühren wiederum eine Zusatzrendite erzielen.
Die Beziehung zwischen Short Interesse und Kursbewegung ist ein zentrales Thema dieser Studie. Als Nächstes definieren die Forscher ein Kriterium, das einen Mangel an möglichen Short-Gelegenheiten anzeigt. Damit sind Aktien gemeint, bei denen eine hohe Nachfrage (hohes Short Interest), aber ein geringes Angebot an Aktien zum Shorten (geringes Institutional Ownership) besteht. Für diese ausgewählten Titel, die nur einen kleinen Teil des Gesamtuniversums repräsentieren, berechnen die Autoren, dass die Underperformance bei gleichgewichteter Berechnung rund zwei Prozent pro Monat beträgt. Das ist ein sehr deutliches Ergebnis und bezieht sich auf den Untersuchungszeitraum von 1988 bis 2002. Gleichzeitig fällt die Underperformance mit nur rund 0,4 Prozent pro Monat bei Berechnung auf marktkapitalisierungsgewichteter Basis wesentlich geringer aus, sodass der Großteil des Effekts von kleineren Aktien stammt.
The Good News in Short Interest
Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt Studie „The Good News in Short Interest“. Dort wurden US-Aktien im Zeitraum von 1988 bis 2005 untersucht. Titel mit hohem Short Interest wiesen demnach unterdurchschnittliche Folgerenditen auf, während Aktien mit niedrigem Short Interest, die zudem hohe Handelsumsätze aufwiesen, deutlich überdurchschnittliche Folgerenditen erzielten. Die Forscher weisen auf frühere Studien hin, die gleichfalls bestätigen, dass ein Anstieg des Short Interest tendenziell zu einer Underperformance führt – und zwar insbesondere dann, wenn die entsprechenden Aktien keine börsennotierten Optionen (also keine alternativen Short-Möglichkeiten) haben. Daraus lässt sich ableiten, dass Leerverkäufe tatsächlich förderlich für eine effizientere Preisfindung an den Märkten sind und im Durchschnitt nicht – wie manchmal vermutet – die Kursverluste überhaupt erst verursachen. Umgekehrt ist die Abwesenheit von Leerverkäufern aber durchaus ein Indiz für eine gesunde Kursentwicklung, die sich im Durchschnitt entsprechend weiter positiv fortsetzt.
Der Zusammenhang zwischen Short Interesse und Kursbewegung zeigt sich auch darin, dass die Marktreaktionen oft auf negative Erwartungen hinweisen. Das Interessante dabei: Allein die Tatsache, dass das Short Interest zunimmt, ist ein Indiz für Anleger. Wir müssen nicht unbedingt wissen, welche genauen (negativen) Informationen die Leerverkäufer haben. Es reicht zu wissen, dass sie Positionen aufbauen und deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit über entsprechendes Wissen oder einschlägige Analysen verfügen.
Nach diesem Prinzip wird der Zusammenhang zwischen hohem Short Interest und durchschnittlicher Underperformance der betreffenden Aktien auch in der Studie „Short Interest, Returns, and Fundamentals“ aus dem Jahr 2013 begründet. Demnach antizipieren Leerverkäufer schlechte Nachrichten – seien es Quartalszahlen oder Herabstufungen durch Analysten – schon einige Monate im Voraus, da sie anscheinend im Vorfeld über entsprechende Hinweise verfügen oder bestehende Informationen hervorragend interpretieren und in Zusammenhang bringen können. Gleichzeitig schaffen es die Leerverkäufer, Aktien mit positiven künftigen News zu meiden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Untersuchung von Short Interesse und Kursbewegung eine wertvolle Informationsquelle für Investoren darstellt.
B1 Screening nach Short Interest
Mit Screenern wie www.FinViz.com lassen sich Aktien identifizieren, die über hohes Short Interest verfügen. Dabei lassen sich, wie hier zu sehen, zusätzliche Filter beispielsweise für Marktkapitalisierung und Institutional Ownership setzen. Quelle: www.FinViz.com
Das Short-Squeeze-Risiko
Das bedeutet aber nicht, dass Leerverkäufe nicht riskant wären. Ganz im Gegenteil: Wer schon einmal einen richtigen Short Squeeze miterlebt hat, weiß ganz genau, was gemeint ist. In diesem Szenario führen anhaltende Kursanstiege dazu, dass Leerverkäufer in Bedrängnis kommen und ihre Positionen zum Teil zwangsliquidieren müssen. Das schafft zusätzlichen Kaufdruck, da die Glattstellung eines Leerverkaufs eben durch Käufe erfolgt. In der Folge kommen eventuell wiederum weitere Leerverkäufer in Bedrängnis, was am Ende einen schnellen, heftigen Kursanstieg auslösen kann – den sogenannten Squeeze. Dies zeigt, wie kritisch das Short Interesse und die Kursbewegung miteinander verknüpft sind.
Ein im Jahr 2016 veröffentlichtes Paper von Baixiao Liu und Wei Xu mit dem Titel „Short Squeezes“ untersuchte diesen Zusammenhang genauer. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass Short Squeezes einen bedeutenden Kostenfaktor für Leerverkäufer darstellen – insbesondere dann, wenn verbindliche Kapital und Leerverkaufsrestriktionen vorliegen. Bei insgesamt 153 Beispielen von entsprechenden US-Aktien mit den höchsten Eintages-Renditen und den gleichzeitig höchsten Short-Interest-Werten stiegen die Kurse innerhalb der sieben Handelsstunden nach dem initialen Preissprung im Durchschnitt um weitere 19 Prozent (!) an.
Anschließend erfolgten eine Beruhigung sowie eine kurzfristige Gegenbewegung von rund 3,5 Prozent innerhalb weniger Stunden. Erst dann setzte sich mittelfristig ein langsamer Abwärtsdrift um durchschnittlich etwa zehn Prozent über 70 Handelstage durch. Da das Short Interest nach diesen Ereignissen deutlich niedriger lag als zuvor, ist der Short Squeeze als Erklärung naheliegend. Die Autoren der Studie weisen zudem darauf hin, dass ein Short Squeeze nicht selten zum ungünstigsten Zeitpunkt auftritt, wenn die Leerverkäufer ohnehin Verluste durch steigende Märkte und Sektoren verzeichnen.
Das Risiko eines Short Squeeze ist professionellen Marktteilnehmern durchaus bewusst. Es kann dazu führen, dass kleine, illiquide Aktien kaum oder überhaupt kein Short Interest aufweisen, obwohl es durchaus Leihmöglichkeiten gibt. Die Angst vor einem Short Squeeze kann auch erklären, warum in Zeiten offensichtlicher Überbewertungen am Markt die Niveaus an Short Interest oft erstaunlich niedrig sind. Hier zeigt sich, wie das Short Interesse und die Kursbewegung oft miteinander interagieren und sich gegenseitig beeinflussen.
B2 Tesla als Short-Kandidat
Unter den selektierten Werten aus Bild 1 mit einem hohen Short Float von mehr als 20 Prozent befand sich Ende November beispielsweise Tesla. Zwar war diese Aktie schon längere Zeit als „überbewertet“ auf dem Radar vieler Trader, allerdings wurden diese Positionen bei den teils heftigen Aufwärtsbewegungen durch Short Squeezes wieder verdrängt. Erst im November bildete sich zusätzlich zum hohen Short Interest ein charttechnischer Bruch nach unten aus. Das Beispiel zeigt, dass das Short Interest zwar eine gute Indikation liefert, aber sich Trades auch auf zusätzliche Bestätigung stützen sollten. Quelle: www.tradesignalonline.com
Chancen mit Short-Positionen
Andererseits bieten Short-Strategien auch klare Chancen. Im Paper „The Shorting Premium and Asset Pricing Anomalies“ von Itamar und Qingyi Dreda Drechsler wird beispielsweise die Existenz einer Short-Prämie gezeigt, die sich an der Höhe der Kosten bemisst, die für Short-Positionen anfallen. Wenn es besonders teuer ist, bestimmte Aktien zu shorten, fällt diese Prämie recht hoch aus. Die teuersten zehn Prozent der Aktien weisen Short-Kosten von rund sieben Prozent pro Jahr auf, während es für die günstigsten 80 Prozent nur rund 0,3 Prozent pro Jahr sind. Interessant ist dabei, dass die Nettorenditen der teuren Short-Werte auch nach Abzug der Kosten positiv sind.
Die Studie findet noch einen anderen bemerkenswerten Aspekt: Die Rendite von bekannten Anomalien wie Momentum ist auf der Short-Seite bei Aktien mit hohen Short-Kosten besonders hoch. Das liegt wohl daran, dass viele Anleger Short-Positionen in diesen Werten nachfragen und damit die Kosten nach oben treiben. Die Autoren zeigen, dass dieser Effekt nicht durch andere Faktoren wie niedrige Marktkapitalisierung oder Illiquidität zu erklären ist. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Aktien mit hohem Short Interest im Durchschnitt stärker überbewertet sind, wie wir bereits aus den zuvor diskutierten Studien wissen. Nur wissen wir jetzt auch, warum: diese Aktien werden im Rahmen von Rendite-Anomalie-Strategien verstärkt geshortet. Da dies – wie ebenfalls bereits diskutiert – aber auch riskant ist, fällt die Short-Prämie für diese Titel entsprechend höher aus.
Neben der Betrachtung auf Einzeltitel- und Portfoliobasis ermöglicht das Short Interest Anlegern noch eine weitere interessante Anwendung, wie die Studie „Short Interest and Aggregate Stock Returns“ von David E. Rapach, Matthew C. Ringgenberg und Guofu Zhou zeigt. Demnach ist das über alle Aktien aggregierte Short Interest die stärkste bekannte Indikation für künftige Renditen des Gesamtmarkts. Hier zeigt sich deutlich, dass das Short Interesse und die Kursbewegung einen direkten Zusammenhang mit den zukünftigen Markttrends haben. Untersucht wurde im Paper der vergleichsweise lange Zeitraum von 1973 bis 2014 für den US-Markt, dessen trendbereinigter Short-Interest-Index berechnet wurde (Bild 3). Dieser steht in enger Relation zum Auftreten von Rezessionen und damit zu Phasen unterdurchschnittlicher Aktienrenditen.
B3 Short-Interest-Index
Die Grafik zeigt in der oberen Hälfte die Entwicklung des durchschnittlichen aggregierten Short-Volumens am US-Markt (normalisiert anhand der jeweiligen Aktienanzahl). Durch die zunehmende Entwicklung des Wertpapier-Leihe-Markts und der Hedgefonds-Industrie tendiert dies im Zeitablauf nach oben, wie auch die gestrichelte Regressionslinie zeigt. In der unteren Hälfte ist die Datenreihe trendbereinigt als Short-Interest-Index abgebildet. Dieser ist ein gutes Maß für den Pessimismus auf Basis der Short-Interest-Daten. Dabei zeigt sich, dass hohe Werte mit niedrigeren künftigen Renditen einhergehen. Die grau hinterlegten Zeiträume sind Rezessionen nach Definition des National Bureau of Economic Research (NBER). Quelle: Rapach, D. E./Ringgenberg, Matthew C./Zhou, Guofu (2016), „Short Interest and Aggregate Stock Returns”, S. 50
Hedgefonds und Manipulationen
Eine wichtige Frage im Zusammenhang mit dem Short Interest ist, welche Rolle Hedgefonds als entscheidende Gruppe von Leerverkäufern spielen. Das Paper „Short Selling Meets Hedge Fund 13F: An Anatomy of Informed Demand” von Yawen Jiao, Massimo Massa und Hong Zhang untersucht dies anhand von Datensätzen zum US-Markt genauer. Betrachtet werden das Short Interest sowie die aggregierten Positionen der jeweiligen Aktien bei Hedgefonds auf Basis der veröffentlichten 13F-Informationen im Zeitraum von 2000 bis 2012. 13F sind Pflichtblätter der US-amerikanischen Finanzaufsicht SEC (Securities and Exchange Commission). Hierin müssen Hedgefonds mit über 100 Millionen US-Dollar Kapital quartalsweise offenlegen, was sie ge- und verkauft haben. Das Ergebnis: Wenn das Short Interest einer Aktie abnimmt und im gleichen Zeitraum deren aggregierte Bestände bei Hedgefonds steigen, handeln diese insgesamt auf Basis eines positiven Signals im Sinne von informierter Nachfrage.
Umgekehrt liegt ein negatives Signal beziehungsweise informiertes Angebot vor, wenn das Short Interest steigt und die Bestände gleichzeitig fallen. Insgesamt erzielten Aktien mit positivem Signal im Untersuchungszeitraum eine um rund zehn Prozent pro Jahr höhere Rendite als Aktien mit negativem Signal. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Positionen der Hedgefonds auf Informationen basieren, die besser sind als die Einschätzungen der Analysten und des Marktes, was die Fundamentaldaten der Unternehmen angeht.
Hedgefonds und andere aktivistische Investoren werden mitunter auch der Marktmanipulation verdächtigt. Konkret steht dies oft bei öffentlichen Short-Attacken zur Debatte, wenn diese Investoren über Kanäle der öffentlichen Medien teils aggressiv darüber sprechen, dass bestimmte Aktien (die sie im Vorfeld geshortet haben) überbewertet sind oder – noch gravierender – dass es bei den jeweiligen Unternehmen Unregelmäßigkeiten oder gar Betrug gebe. Nicht selten lässt sich dann ein damit einhergehender Kurseinbruch beobachten, der mitunter nicht ganz mit rechten Dingen zugeht.
B4 Aktivistischer Short-Investor bei Valeant
Valeant Pharmaceuticals war eines der bekanntesten Beispiele für aktivistische Engagements mit heftigen Auswirkungen. Mehrere Leerverkaufsanalysen von Citron Research von September bis November 2015 ließen die Aktie einbrechen. Die einflussreichste Veröffentlichung erfolgte am 21. Oktober 2015, in der Valeant als das „Enron der Pharmabranche“ bezeichnet wurde. Allein an diesem Tag verlor die Aktie rund 40 Prozent an Wert. Mike Pearson, der damalige Vorstandschef von Valeant, warf dem Short Seller Andrew Left von Citron Research im Gegenzug vor, seine Motivation sei die gleiche wie bei jemandem, der in ein volles Kino renne und laut „Feuer“ schreie. Seine Intention sei es, Panik auszulösen, indem er den Report bewusst so gestaltet habe, dass die Aktionäre verängstigt würden – mit dem Ziel, den Aktienkurs nach unten zu treiben und so Geld mit seinen Short-Positionen zu verdienen. Der Crash der Aktie erwischte auch Profis: Im März 2017 verkaufte Bill Ackmans Hedgefonds Pershing Square seinen Anteil am Unternehmen und realisierte damit einen Verlust in Höhe von 2,8 Milliarden US-Dollar. Quelle: www.tradesignalonline.com
Die im Jahr 2017 veröffentlichte Studie „Activist Short-Selling“ von Wuyang Zhao untersucht diesen Zusammenhang anhand eines umfangreichen Datensatzes mit mehr als 6.000 Fällen. Es zeigt sich, dass aktivistisches Short Selling in der letzten Dekade deutlich zugenommen hat. Tatsächlich zielen die Akteure auf überbewertete Firmen ab, bei denen der Stand der öffentlichen Informationen eher unpräzise ist und sich die Marktteilnehmer leichter beeinflussen lassen. Mit anderen Worten: Ganz unbegründet sind die Aktionen meist nicht, da sie durchaus relevante Informationen beinhalten. Gleichzeitig zeigt das Paper aber auch, dass die öffentlichen Aussagen durchaus Panik bei anderen Investoren verursachen können, was schnell zu überzogenen Kursreaktionen führt.
Fazit
Verschiedene Studien legen nahe, dass Short Seller informierte Marktteilnehmer sind, die anscheinend über bessere Informationen verfügen oder bestehende Informationen hervorragend interpretieren und verknüpfen können. Die genaue Quelle ihres Vorteils lässt sich allerdings nicht identifizieren. Jedenfalls schlagen sich die Spuren dieser Marktteilnehmer in der Höhe des Short Interest nieder, was eine gute Indikation für künftige Renditen darstellt. Dies gilt sowohl für Einzeltitel – insbesondere dann, wenn die Aktien „schwer zu shorten“ sind – als auch bei aggregierter Betrachtung für den Gesamtmarkt.
Gleichzeitig besteht bei hohem Short Interest aber auch das Risiko eines Short Squeeze, sollte die Aktie plötzlich rasant steigen. Dann nämlich müssen Leerverkäufer ihre Positionen eindecken und erzeugen damit zusätzlichen Kaufdruck, was gerade bei hohem Short Interest ein nicht zu vernachlässigendes Risiko darstellt. Dies verdeutlicht, wie entscheidend das Verständnis von Short Interesse und Kursbewegung für die Bewertung von Risiken und Chancen auf dem Markt ist.
Der Original-Artikel erschien in der Ausgabe 01.2018 im Magazin TRADERS´. Da es sich um einen historischen Beitrag handelt, können sich Personen-, Firmen- und Produktdaten, Webseiten, Software, Strategien, Marktphasen, gesetzliche Regelungen und anderes verändert haben bzw. ungültig geworden sein. Die Aktualität des Artikels bezieht sich somit stets auf das Erscheinungsdatum.
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