"Benjamin Graham – Intelligent Investieren"

Für Warren Buffett ist „Intelligent Investieren“ eines der besten Bücher über Geldanlage, das je geschrieben wurde. 1950 hat er die erste Ausgabe gelesen und Benjamin Grahams Ratschläge haben ihn zum vermutlich besten Anleger aller Zeiten gemacht. Nebenbei avancierte Buffett mit seinem börsennotierten Investmentkonzern Berkshire Hathaway zu einem der reichsten Männer der Erde. Grahams Werk steckt so gut wie nie zuvor den intellektuellen Rahmen für erfolgreiches Investieren ab. Aber die emotionale Disziplin, sich an die Regeln zu halten, muss jeder Anleger selbst aufbringen.

Und das ist der schwere Teil: Eisern abzuwarten, bis ein Wertpapier mit einer ansehnlichen Sicherheitsmarge auf den Substanzwert gehandelt wird. Berühmt wurde dieses Prinzip unter Buffetts Motto: „Kaufe einen Dollar, aber bezahle nicht mehr als 50 Cent dafür.“ Privatanleger dürfen sich diese Geduld leisten, Fondsmanager nicht. Letztere müssen ständig investiert sein, um die Kosten der Vermögensverwaltung zu rechtfertigen. Berkshire Hathaway geht einen anderen Weg: Warren Buffett wartet auf seine Chance, notfalls auch Jahre lang. Derzeit sitzt Berkshire Hathaway mal wieder auf einem riesigen Cash-Berg – mehr als 150 Milliarden US-Dollar sind am Geldmarkt und in amerikanischen Staatsanleihen mit kurzer Restlaufzeit geparkt. Denn der Börsenboom und die Anleihenkäufe der Notenbanken haben die Bewertungen vieler Wertpapiere in exorbitante Höhen gejagt – Warren Buffett ist der Markt zu teuer für langfristig lukrative Investments.

Kein sicherer Weg zum Reichtum, aber solide Vermögensbildung

Mit der jüngst erschienenen Neuausgabe von „The Intelligent Investor“ hat der Finanzbuch Verlag einige Mängel der Taschenbuch-Auflage behoben: Die bessere Übersetzung und die höhere Druckqualität rechtfertigen den spürbar gestiegenen Preis. Die Grundstruktur blieb unverändert. Nach dem Vorwort Buffetts folgen 20 Kapitel mit Grahams Originaltexten der Auflage von 1973. Jedes Kapitel wird um einen Kommentar und die Fußnoten des Finanzjournalisten Jason Zweig aus dem Jahr 2003 ergänzt. Ein Nachtrag, sieben Anhänge (zum Beispiel ein Beitrag von Warren Buffett von 1984 über das Buch Security Analysis von Benjamin Graham und David L. Dodd) und die Endnoten bilden den Abschluss des Buches.

Auf topaktuelle Modethemen gibt „Intelligent Investieren“ natürlich keine Antwort. Und einen sicheren Weg zum Reichtum an der Wall Street kannte der Hochschulprofessor Graham ebenfalls nicht. Aber er stellte erstmals privaten Anlegern ein Gerüst an Kennzahlen zur Verfügung, mit denen sich der Wert von Aktien und Anleihen objektiv ermitteln und vergleichen ließ. Graham beschrieb, wie sich das Ergebnis je Aktie und das echte Vermögen eines Unternehmens berechnen lässt.

Graham wies zudem eindringlich auf die enorme Bedeutung der Steigerungen von Ergebnis und Dividenden auf lange Sicht hin. Zu seinen größten Anliegen gehörte es, vor den Tricks der Finanzbranche zu warnen: Aktien-IPOs aus angesagten Modebranchen lohnen sich für die meisten Anleger genauso selten wie Manager von Aktienfonds ihre Benchmark deutlich übertreffen. Passive Anleger hatten zu Grahams Zeiten aber nur wenig Alternativen zu Fonds. Denn damals gab es noch keine Exchange Traded Funds. Den ersten Indexfonds emittierte Vanguard 1997. Aber die Börsen-Zyklen gab es, gibt es und wird es wohl immer geben.

Als Jason Zweig 2003 seine Kommentare schrieb und eine Schätzung für die möglichen Renditen des Aktienmarktes abgab (Seite 109), waren die Kurse im Keller. Tech-Giganten wie Cisco oder Lucent Technologies hatten den Großteil ihres Wertes eingebüßt, Bilanzfälschungen à la Enron das Vertrauen der Anleger erschüttert. Entsprechend mies sah die Performance der vergangenen Jahre aus. Doch die Renditechancen waren angesichts der niedrigen Einstiegskurse hervorragend.

Langfristig Dividendenaristokraten zu günstigen Kursen kaufen

Seither sind die Börsen unter dramatisch gestiegen: Der Nasdaq 100 kletterte seit März 2003 um etwa 1670 Prozent, der DAX nur um gut 600 Prozent. Besonders günstig sind Aktien derzeit also wohl nicht. Doch den Tiefpunkt beim Kaufen erwischen die wenigsten Profis und so gut wie kein Kleinaktionär, der in der Regel nur ab und zu Zeit für die Börse hat. Graham riet deshalb schon vor einem halben Jahrhundert zu Sparplänen, um den Durchschnittskosteneffekt zu nutzen.

Dabei lohnen sich seiner Meinung nach Wachstumswerte eher weniger, Dividendenaristokraten eher mehr. Gezielt ergänzen sollte man Aktien großer Konzerne, wenn sie gerade unbeliebt sind und deshalb mit einem klaren Abschlag auf den Substanzwert gehandelt werden, wie das zum Beispiel in den Jahren nach dem Börsen-Crash von 1987 der Fall war. Zwischen 1988 und 1994 erwarb Berkshire Hathaway große Positionen in Dow-Jones-Titeln wie American Express und Coca-Cola zu aus heutiger Sicht lächerlich niedrigen Kursen. Aktive Anleger können zwar bei Unternehmen aus der zweiten Reihe einsteigen oder auf Sondersituationen wie Sanierungen und Übernahmen spekulieren. Dabei konkurrieren sie aber mit institutionellen Investoren. Wer also nicht die Zeit hat, professionell an der Börse zu agieren, darf nur passiv investieren – heutzutage also in ETFs.

Money Management ohne Stoppkurse ist riskant

Eher kritisch beäugen kann man Grahams Abneigung gegen die Technische Analyse, liefert sie doch wichtige Indikatoren bei der Wahl von Ein- oder Ausstiegspunkten an der Börse. Die Schätzung künftiger Ergebnisse – die Grundlage jeder Discounted-Cash-Flow-Analyse – hält Graham mehr oder weniger für Wunschdenken. Sein Credo einer soliden Geldanlage lautet: Anleger sollten nach einer möglichst hohen Sicherheitsmarge beim Kauf streben, ihr Portfolio vernünftig diversifizieren und sich dabei vor allem auf quantitative Anlageregeln sowie praktische Erfahrung stützen. Zweigs Kommentar dazu ist ein kaum verhohlenes Plädoyer für Stoppkurse zur Risikobegrenzung: Für ihn lautet die wichtigste Erkenntnis zum Umgang mit der Unsicherheit, dass die möglichen Konsequenzen einer Anlageentscheidung viel wichtiger sind als die Eintrittswahrscheinlichkeit. Auch wenn die Chance eines Totalverlusts nur wenige Prozent beträgt, können die Folgen für Anleger verheerend sein, wie das Beispiel des ehemaligen DAX-Titels Wirecard gezeigt hat.


T1 Bibliographie

Bibliographie
Titel:Intelligent Investieren
Autor:Benjamin Graham
Umfang:656 Seiten, Hardcover
Preis:40,00 €
ISBN:978-3-95972-764-8
Verlag:Finanzbuch Verlag, München 2024

Fazit

Eines der bekanntesten Bücher über die fundamentale Wertpapieranalyse gibt es nun in einer neuen Übersetzung. Besonders lesenswert ist Intelligent Investieren für längerfristig orientierte Anleger, die skeptisch auf die aktuell recht ambitionierten Bewertungen an den Weltbörsen blicken, aber sich auf günstigere Kaufgelegenheiten vorbereiten wollen.


Der Original-Artikel erschien in der Ausgabe 05.2024 im Magazin TRADERS´. Da es sich um einen historischen Beitrag handelt, können sich Personen-, Firmen- und Produktdaten, Webseiten, Software, Strategien, Marktphasen, gesetzliche Regelungen und anderes verändert haben bzw. ungültig geworden sein. Die Aktualität des Artikels bezieht sich somit stets auf das Erscheinungsdatum.

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