"Steve Cohen: Der Dirigent"

„Er ist der Beste“, hatte mir einer meiner Branchenkontakte über Steve Cohen gesagt, als ich ihn nach potenziellen Gesprächspartnern ausfragte. Und immer wenn der Name Steve Cohen in meinen Unterhaltungen mit Bekannten aus der Finanzwelt auftauchte, schien sich diese Beurteilung zu wiederholen. Als ich mir dann seine Bilanzen angeschaut habe, konnte ich dieses großzügige Lob nachvollziehen. In seinen bisher sieben Jahrenals Anlageberater hat er kumulativ einen durchschnittlichen Jahresgewinn von 45 Prozent erzielt und dabei während der gesamten Periode nur drei negative Monatsergebnisse hinnehmen müssen – deren schlimmstes ein winziger Verlust von zwei Prozent war. Die Psychologie des Traders spielt dabei eine zentrale Rolle, da sie maßgeblich zu Cohens Erfolg beigetragen hat. Aber selbst diese Zahlen sind nicht gut genug, um Steve Cohens Börsentalent angemessen zu würdigen. Denn Cohen ist so gut, dass er eine Leistungsprämie von 50 Prozent verlangen kann – das bedeutet, dass seine tatsächlichen Börsengewinne im Jahresdurchschnitt bei rund 90 Prozent liegen müssen. Trotz seiner astronomischen Gebühren – ungefähr das Zweieinhalbfache der in der Hedgefonds-Branche üblichen Bezüge – leidet Cohen keinen Mangel an interessierten Anlegern. Sein wichtigster Fonds ist mittlerweile sogar für neue Anleger geschlossen.

Ich dachte mir, Cohens Büro müsse vorwiegend aus Fenstern und einem Tisch aus Glas und Stahl bestehen. Stattdessen führte mich die Empfangsdame in einen riesigen fensterlosen Saal mit sechs langen Tischreihen, die rund 60 Tradern Platz boten, wobei jeder Trader vor einer Batterie aus sechs bis zwölf Monitoren saß. Cohen hat seinen Erfolg dazu genutzt, Trader anzulocken, die sich auf eine ganze Reihe verschiedener Marktsektoren spezialisieren. Er hat sich nicht nur buchstäblich, sondern auch bildlich mit Tradern eingedeckt. Die Psychologie des Traders wird hier deutlich, da jeder seiner Mitarbeiter mental stark sein muss, um in einer solch intensiven Umgebung zu bestehen. Bei meiner Ankunft befand er sich gerade mitten in einem längeren Telefongespräch – ironischerweise wurde er vom Wall Street Journal interviewt. Während des gesamten Telefonats nahm er seine Augen nicht einen Moment lang von seinen Monitoren. Einmal unterbrach er die Unterhaltung sogar, um einen Auftrag zu erteilen: „Verkaufe 20 (20.000) Pokémon.“ Dabei machte er folgende Nebenbemerkung gegenüber dem Rest des Saals: „Meine Kinder lieben den Kram zwar, aber was soll’s!“ Er erinnerte mich ein bisschen an Jason Alexander aus „Seinfeld“ – der Grund dafür war eine Kombination aus einer gewissen äußerlichen Ähnlichkeit, seinen Sprachmustern und seinem Humor.

Angesichts der Zahl der hier versammelten Trader war es überraschend still in dem Raum. Mir fiel sofort auf, was fehlte – es gab keine klingelnden Telefone; die Aufträge wurden über Freisprechanlagen erteilt. Immer mal wieder kam es zu einem erhöhten Aktivitätspegel, der von einer entsprechenden Welle ansteigender Geräuschpegel begleitet wurde. Ständig rief irgendwer seine Kauf- oder Verkaufsaufträge, Nachrichten oder Fragen an andere Trader in den Raum. Ein Beispiel: „Weiß jemand, ob Martha Stewarts Kapitalerhöhung gutes Potenzial hat?“ Alle paar Minuten erteilte Cohen lauthals Kauf- oder Verkaufsaufträge, die ausgeführt werden sollten, allerdings in einem so beiläufigen Ton, dass man hätte meinen können, er bestelle ein Thunfischsandwich, anstatt 25.000 oder 100.000 Titel auf einmal zu kaufen oder zu verkaufen.

Steve Cohen: Welche Rolle spielt die Intuition bei Ihren Geschäften?

Cohen: Eine große, wahrscheinlich mindestens 50 Prozent. Die Psychologie des Traders ist entscheidend, um solche schnellen und intuitiven Entscheidungen zu treffen, ohne dabei die Kontrolle zu verlieren.

Steve Cohen: Wann wurde Ihnen zum ersten Mal klar, dass es so etwas wie eine Börse gibt?

Cohen: Mit ungefähr 13 Jahren. Mein Vater hat abends immer die New York Post mitgebracht, und ich habe die Sportseiten durchgelesen. Dabei fiel mir auf, dass es diese anderen Seiten gab, auf denen nur Zahlen standen. Als ich herausfand, dass diese Zahlen Preise darstellen, die sich Tag für Tag ändern, hat mich das sehr fasziniert. Ich fing also an, mich in einem Maklerbüro in der Nachbarschaft aufzuhalten und die Aktiennotierungen zu beobachten.

Als Hochschüler hatte ich einen Job während der Sommerferien in einem Bekleidungsgeschäft, das nicht weit von dem Maklerbüro entfernt war. So konnte ich während meiner Mittagspause dort hinlaufen und das Ticker-Tape betrachten. Das lief damals noch so langsam, dass man es einfach so verfolgen konnte. Man konnte sehen, wie das Volumen bei einer Aktie zunahm, und sich dabei vorstellen, dass sie im Kurs stieg. Das geht jetzt nicht mehr, das Band läuft einfach zu schnell. Aber alle meine heutigen Tätigkeiten gehen auf diese ersten Erfahrungen beim Ablesen des Tickers zurück.

Steve Cohen: Hat Ihr Wirtschaftsstudium in Wharton bei Ihrer Börsenkarriere irgendeinen Nutzen gebracht?

Cohen: Dort wurde mir beigebracht, dass 40 Prozent der Kursbewegungen vom Markt bestimmt werden, 30 Prozent von der Branche und nur 30 Prozent von der Aktie selbst. Ich halte das auch heute noch für richtig. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob die Prozentzahlen genau stimmen, aber als Konzept ist diese Idee sehr sinnvoll.

Steve Cohen: Wenn Sie sich an der Börse engagieren und der Markt in die entgegengesetzte Richtung tendiert, wie finden Sie heraus, dass Sie sich geirrt haben?

Cohen: Wenn ich wegen eines Katalysators eingestiegen bin, überprüfe ich als Erstes, ob der Katalysator immer noch anwendbar ist. Vor ungefähr einem Monat habe ich beispielsweise erwartet, dass IBM einen enttäuschenden Geschäftsbericht vorlegen würde, und ging noch vor der Verlautbarung Short. Ich war besonders bärisch, weil viele Computer- und Softwareunternehmen wegen der Probleme mit Y2K hinter ihren Gewinnerwartungen zurückblieben. Die Kunden warteten mit dem Kauf neuer Systeme lieber noch ab.

Da der Jahreswechsel so kurz bevorstand, dachten sie wahrscheinlich, noch eine Weile mit den bestehenden Computern auskommen zu können. Ich habe die Aktie bei $169 leer verkauft. Die Gewinnzahlen wurden veröffentlicht und waren einfach fantastisch – sensationell! Ich musste nachbörslich viel höher aussteigen und meine Position bei $187 decken. Der Trade funktionierte einfach nicht. Am nächsten Morgen eröffnete der Titel bei $197. Was für ein Glück, dass ich über Nacht meine Position gedeckt hatte.

Steve Cohen: Sind Sie schon immer dazu fähig gewesen, sofort die Richtung zu ändern, sobald Sie entdecken, dass Sie falsch liegen?

Cohen: Es ist äußerst ratsam, zu diesem Verhalten fähig zu sein. An diesem Spiel ist nichts perfekt. Ich erfasse meine Trader statistisch. Sogar der Beste macht nur in 63 Prozent aller Fälle Gewinne. Bei den meisten Tradern liegt dieser Wert zwischen 50 und 55 Prozent. Also machen alle viele Fehler. Die Psychologie des Traders ist dabei unverzichtbar, um Verluste zu minimieren und rationale Entscheidungen zu treffen.

Steve Cohen: Können Sie sich an einen Trade erinnern, der besonders emotional war?

Cohen: Ich hielt 23 Prozent der Anteile eines Unternehmens, das von XYZ übernommen wurde. So hielt ich jetzt also in meinem Privatdepot eine Aktienposition in XYZ, und das ging vier oder fünf Jahre lang so, ohne dass sich da viel getan hätte. XYZ hatte eine Tochtergesellschaft, die eine Website für Finanzberatung betrieb, und XYZ wollte nun mit dieser Tochtergesellschaft an die Börse gehen. Schon vor der Emission stiegen die Aktien auf $13, was weit über dem Kursniveau lag, an dem ich sie so lange gehalten hatte. Also stieg ich aus und war damit ganz zufrieden. Die Neuemission, die ursprünglich für Dezember angesetzt war, verzögerte sich und die Aktie verlor an Boden. Einige Wochen später wurde ein neuer Termin für Januar angekündigt, und die Aktie stieg drastisch, weil sie auf der Welle der Internet-Manie mitschwamm. In zwei Wochen stiegen XYZ-Aktien so von $10 auf über $30. Ich konnte mich einfach nicht damit abfinden, dass ich den Titel so viele Jahre lang treu und brav gehalten hatte und dann ausgestiegen war, bevor sie diesen Höhenflug hinlegte.

Aber ich war richtiggehend verärgert, weil ich das Unternehmen gut kannte und wusste, dass es nie im Leben über $30 wert war. Die Neuemission der Tochtergesellschaft wurde mit $15 notiert. Selbst wenn der Titel bei $100 notiert, hätte, wäre das für die Muttergesellschaft nur eine Wertsteigerung von $10 gewesen, und wenn die Tochtergesellschaft bei $200 notiert hätte, hätte die Wertsteigerung für die Muttergesellschaft vielleicht $20 betragen. Der Rest des Unternehmens war vielleicht so um die fünf US-Dollar wert. Hier war also eine Aktie, die im optimistischsten Fall vielleicht zwischen $15 und $20 wert war, aber zu über $30 gehandelt wurde. Also fing ich an, den Wert wie verrückt ohne Deckung zu verkaufen. Ich gab so etwa 900.000 Aktien und um die 2.000 Call-Optionen. Mein durchschnittlicher Verkaufskurs lag um die $35, die Aktie stieg aber bis auf $45. Am Freitag, dem Tag der Neuemission, stürzte XYZ dann ab. Am Freitagnachmittag deckte ich meine Positionen bei $22, $21 und $20. Und die Calls, die ich für zwischen $10 und $15 verkauft hatte, konnte ich für einen US-Dollar zurückkaufen. Dieser Trade hat also wunderbar funktioniert. Die Psychologie des Traders spielt eine entscheidende Rolle in Situationen wie dieser, da sie das Verhalten und die Entscheidungen eines Traders beeinflusst.

Steve Cohen: In diesem Fall lag Ihr Durchschnittskurs bei $35 und die Aktie stieg bis auf $45. Was wäre passiert, wenn sie weiter gestiegen wäre? An welchem Punkt hätten Sie dann aufgegeben? Oder hätten Sie einfach weitergemacht, weil Sie davon überzeugt waren, dass die Gesellschaft überbewertet war?

Cohen: Eines der Grundprinzipien bei Leerverkäufen ist die Notwendigkeit eines Katalysators. Hier war es die Neuemission, die diese Rolle spielte. Sie war für Freitag angesetzt, und ich hatte mit meinen Leerverkäufen schon am Dienstag angefangen, damit ich bis zum Wochenende die gesamte Position aufbauen konnte. Wenn die Aktie nach der Neuemission nicht gefallen wäre, hätte ich die Position wahrscheinlich gedeckt. Aber ich war wirklich wütend, weil ich meine ursprünglichen Holdings verkauft hatte.

Steve Cohen: Sie wollten also eine Wiedergutmachung?

Cohen: Und die habe ich auch gekriegt.

Steve Cohen: Was passiert, wenn eine Ihrer Leerpositionen in die falsche Richtung läuft und es in der nahen Zukunft keinen Katalysator gibt? Wenn Sie bei $40 verkauft haben, die Aktie aber auf $45 steigt? Wann steigen Sie dann aus?

Cohen: Wenn der Titel in die falsche Richtung läuft, decke ich wahrscheinlich täglich Teile meiner Position.

Steve Cohen: Sogar, wenn sich die Fundamentaldaten nicht verändern?

Cohen: Ja. Ich schärfe meinen Tradern immer wieder ein: „Wenn du glaubst, falsch zu liegen, oder wenn die Kurse in die falsche Richtung laufen, ohne dass du dafür einen Grund siehst, decke die halbe Position. Du kannst sie ja auch später noch aufbauen.“ Wenn man das zweimal macht, hat man drei Viertel der Leerverkäufe gedeckt. Was dann noch übrig bleibt, ist nicht mehr sehr problematisch. Es kommt allerdings darauf an, dass man schnell handelt. Ich finde immer, dass viel zu viele Trader einfach nur untätig herumstehen und sich einfach überfahren lassen. Ein anderer Fehler bei Leerverkäufen ist, viel zu große Positionen einzunehmen. Wenn die Kurse dann in die falsche Richtung laufen, ist die Pein so überwältigend, dass man in Panik gerät oder einfach erstarrt.

Steve Cohen: Sind Ihnen noch andere häufige Börsenfehler aufgefallen?

Cohen: Viele Leute engagieren sich, ohne einen besonderen Grund für den betreffenden Trade. Sie verkaufen leer, nur weil die Aktie auf einem hohen Kursniveau notiert. Als ob das ein guter Grund wäre. Sie denken: „Ich kann es gar nicht fassen, wie hoch diese Aktie steht!“, und das war dann auch schon die ganze Analyse. Für mich ergibt diese Art von Verhalten keinen Sinn. Meine Antwort darauf ist: „Das muss ich besser machen!“ Manche meiner Bekannten reagieren sehr emotional auf die Börse. Sie kämpfen gegen den Markt. Warum?

Steve Cohen: Aber der XYZ-Trade, von dem Sie mir erzählt haben, war das nicht ein Fall von „gegen den Markt kämpfen“?

Cohen: Da besteht aber ein Unterschied: der Katalysator. Ich wusste, dass die Neuemission für Freitag angekündigt war. Ich wusste nicht nur genau, was da passierte, sondern war mir auch sicher darüber, wie meine Erwartungshaltung aussah. Tatsächlich war dieser Trade sehr gut geplant, obwohl ich mich sehr darüber geärgert hatte, meine frühere Position auf einem so niedrigen Kursniveau aufgelöst zu haben.

Steve Cohen: Fallen Ihnen noch andere Fehler ein, die Anlegern an der Börse unterlaufen?

Cohen: Man sollte wissen, was man ist, und nicht versuchen, etwas anderes zu sein. Wenn man ein Daytrader ist, sollte man Tagesgeschäfte machen. Wenn man ein Anleger ist, sollte man investieren. Alles andere ist wie ein Komiker, der auf die Bühne tritt und versucht, eine ernsthafte Arie zu singen. Wieso sollte er das tun, er ist doch Komiker? Und hier ist noch ein Fehler, den ich irgendwie nicht verstehen kann: Ich habe entfernte Bekannte, die einen Hedgefonds aufgelegt haben, der sich teilweise aktiv engagiert und teilweise in niedrig kapitalisierte Unternehmen investiert. Small Caps haben unglaublich wenig Liquidität, und man muss sie ewig halten – das ist das genaue Gegenteil von einem aktiven Engagement!

Steve Cohen: Welches Verhältnis haben Sie zu den Tradern, die für Sie arbeiten?

Cohen: Ich habe aus verschiedenen Gründen unterschiedliche Trader, die unter- schiedliche Sektoren betreuen. Hier im Saal sitzen viele Leute, und es würde störend wirken, wenn verschiedene Trader mit denselben Titeln handeln. Außerdem wollen wir uns so weit wie möglich streuen, seit wir über eine Milliarde US-Dollar verwalten. Das Unternehmen ist sehr horizontal, und ich bin wie der Dirigent des Orchesters. Man könnte sagen, dass ich die Nabe bin und die anderen die Speichen.

Steve Cohen: Wie suchen Sie Ihre Trader aus?

Cohen: Viele meiner Angestellten wurden mir empfohlen. Ich habe auch einige Leute ausgebildet, die dann innerhalb des Systems herangewachsen sind. Ich beschäftige Trader, die als Büroangestellte angefangen haben und sich jetzt mit Summen in zweistelliger Millionenhöhe engagieren und dabei äußerst erfolgreich sind. Es macht mir großen Spaß, Trader in Paaren zusammenzubringen. Man braucht einfach ein Gegenüber. Man braucht jemand, der Fragen stellt wie: „Warum halten wir die Position?“ Erst dann ist da ein Gleichgewicht und eine Prüfungsinstanz, im Gegensatz zu einer autistischen Weltsicht. Wir haben aber auch Teams, in denen ein Trader mit einem Analysten für denselben Sektor zusammenarbeitet. Diese Idee gefällt mir, da der Trader die Feinheiten der betreffenden Industriebranche kennen lernen und dadurch verstehen kann, welche Faktoren in diesem Sektor tatsächlich zu Kursbewegungen führen.

Steve Cohen: Hat sich die Performance Ihrer Trader verbessert, seit Sie die Zusammenarbeit auf diese Art gestalten?

Cohen: Die Resultate sprechen für sich.

Steve Cohen: Achten Sie bei der Einstellung neuer Trader auf besondere Fähigkeiten?

Cohen: Ich suche nach Menschen, die keine Angst vor Risiken haben. Einer der Sätze, die ich bei Einstellungsgesprächen sage, ist: „Erzählen Sie mir bitte etwas über riskante Dinge, die Sie in Ihrem Leben bisher gemacht haben.“ Ich suche nach Leuten, die genügend Selbstvertrauen haben, sich zu exponieren. Ich suche nach risikofreudigen Menschen.

Steve Cohen: Was würde Sie an einem Trader eher misstrauisch machen?

Cohen: Ich mache mir Sorgen um Trader, die immer darauf warten, dass ihnen jemand anderes sagt, was sie tun sollen. Einer meiner Bekannten könnte ein hervorragender Trader sein. Leider hat er ein kleines Problem: Er weigert sich standhaft, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Er will, dass ihm die anderen sagen, was er kaufen oder verkaufen soll. Und wenn er dann falsch liegt, weiß er nicht, wann er aussteigen soll. Ich kenne diesen Mann schon lange, und er hat das schon immer so gemacht.

Steve Cohen: Versuchen Sie nicht ihm Ratschläge zu geben?

Cohen: Doch. Aber es macht keinen Unterschied. Er ändert sich nicht. Er findet dann nur eine neue Methode, mit der es so aussieht, als habe er seine eigenen Entscheidungen getroffen, aber es stimmt gar nicht. Ironischerweise wäre er wahrscheinlich sehr erfolgreich, wenn er seine eigenen Entscheidungen treffen würde. Auf einer bestimmten Ebene hat er offensichtlich Angst. Vielleicht hat er Angst davor, für dumm gehalten zu werden.

Steve Cohen: Sie haben einige gute Jahre hinter sich – Jahre mit Mammutgewinnen und einem hohen Volumen an Investitionskapital. Haben Sie nicht manchmal Lust, Ihre Jetons in Bargeld zu verwandeln und sich zur Ruhe zu setzen?

Cohen: Viele Menschen sind eher ängstlicher Natur und denken, sobald sie viel Geld verdient haben, dass sie es schützen sollten. Diese Art von Philosophie ist sehr einengend. Ich bin das genaue Gegenteil. Ich möchte lieber, dass die Firma weiterwächst. Ich bin nicht daran interessiert, mich zur Ruhe zu setzen. Erstens habe ich sonst nichts, was ich tun könnte. Ich will nicht nur Golf spielen gehen. Kennen Sie das Sprichwort „Golf ist großartig, bis man es dreimal die Woche spielen kann, dann macht es keinen Spaß mehr“? Zweitens macht mir meine derzeitige Tätigkeit einfach Spaß. Ich habe das Unternehmen so aufgebaut, dass es mich immer noch interessiert. Meine Trader bringen mir viel über ihre Sektoren bei. So lerne ich ständig etwas dazu, was die Sache immer noch aufregend und neu macht. Ich mache nicht mehr dieselben Dinge, die ich noch vor zehn Jahren gemacht habe. Ich habe mich weiterentwickelt und werde mich auch in Zukunft weiterentwickeln.

Steve Cohen: Haben Sie eine bestimmte Vorstellung davon, wie der derzeitige Bullenmarkt zu Ende gehen wird?

Cohen: Er wird ein schlimmes Ende nehmen, das Ende ist immer schlimm. Alle Welt redet mittlerweile von Aktien. Alle wollen Trader sein. Für mich ist das ein sicheres Zeichen für eine Endphase und keine Anfangsphase. Es geht nicht, dass alle auf derselben Seite des Zauns stehen. Die Welt funktioniert einfach nicht so.

Steve Cohen: Irgendwelche letzten Worte?

Cohen: Man kann zwar nicht die Marktaktivitäten kontrollieren, aber die eigene Reaktion darauf. Ich bin immer sehr selbstkritisch. Für mich ist das der springende Punkt an der Börse.

Steve Cohen: Wie würden Sie Ihre Methode beschreiben?

Cohen: Ich kombiniere unzählige Informationen, die aus allen Richtungen auf mich einstürzen, mit einem guten Instinkt für die Marktrichtung, um dann in den Märkten Wetten abzuschließen.

Steve Cohen: Inwiefern unterscheiden Sie sich von anderen Tradern?

Cohen: Ich bin kein Einzelgänger. Viele Trader kämpfen gerne ihre eigenen Schlachten. Ich habe lieber jede Menge Unterstützung. Der Hauptgrund für meinen Erfolg ist die Tatsache, dass ich ein wunderbares Team habe.

Steve Cohen: Was würde theoretisch passieren, wenn Sie alleine in Ihrem Büro Investitionsgeschäfte tätigen würden?

Cohen: Ich würde immer noch gute Gewinne erzielen, aber nicht so gute wie im Moment. Es wäre dann einfach unmöglich, eine so große Marktbreite abzudecken wie bisher.

Steve Cohen: Und wie sieht es mit dem Timing Ihrer Geschäfte aus? Warum machen Sie einen Trade heute und nicht gestern oder morgen, warum in diesem Moment und nicht eine Stunde früher oder später?

Cohen: Das hängt ganz von dem betreffenden Trade ab. Ich habe immer viele verschiedene Gründe, wenn ich mich an der Börse engagiere. Manchmal halte ich mich an den Ticker – also die individuellen Kursbewegungen. Manchmal liegt der Grund für einen Trade aber auch in der Branche oder einem Katalysator.

Steve Cohen: Ich habe gehört, dass Sie einen Psychiater beschäftigen, der mit den Tradern arbeitet.

Cohen: Ari Kiev. Er ist an drei Tagen in der Woche hier.

Steve Cohen: Wie kam es dazu?

Cohen: Ari hat vorher mit olympischen Sportlern zusammengearbeitet. Ich konnte da Parallelen sehen: Auch Wertpapierhändler arbeiten in einem intensiven Wettbewerb und sind sehr ergebnisorientiert. Ich hatte das Gefühl, dass es mehr auf persönliche Probleme zurückzuführen ist, wenn ein Trader keinen Erfolg hat, und nicht auf die Qualität seiner Ideen. Alle Trader haben Probleme, die sie bremsen.

Steve Cohen: Hat das Beratungsprogramm mit Ari einen Nutzen gebracht?

Cohen: Ich habe die Resultate selbst bezeugen können. Es ist überall gleich: Basketballspieler haben Trainer, Tennisspieler haben Trainer usw. Warum sollten Trader keine Trainer haben?

Steve Cohen: Können Sie sich unter den Zehntausenden von Trades, die Sie durchgeführt haben, an einen besonders gut erinnern?

Cohen: Einmal habe ich eine Million Aktien leer verkauft, und sie fielen am nächsten Tag um $10. Das war ziemlich gut.

Steve Cohen: Wie ergab sich diese Gewinnchance?

Cohen: Ich möchte keine Namen nennen – denn sonst würde das Unternehmen wahrscheinlich nie mehr mit mir sprechen –, aber es gab in dem Sektor eine ganze Reihe von Titeln, die unter Druck geraten waren, nur diese eine Aktie konnte an Boden gewinnen, weil sie gerade in den S&P aufgenommen wurde. Ich habe mir gedacht, dass es zu einem Ausverkauf kommen würde, sobald die Käufe der Indexfonds abgeschlossen wären. Am nächsten Tag habe ich leer verkauft, das Unternehmen legte enttäuschende Umsatzzahlen vor, und der Trade wurde zum vollen Erfolg.

Steve Cohen: Gab es jemals Positionen, die Ihnen Ihren Schlaf geraubt haben?

Cohen: Nein, ich habe einen ziemlich guten Schlaf. Ich verliere keinen Schlaf über Positionen. Sie können diese Frage besser folgendermaßen formulieren: Was war Ihr schlimmster Tag bisher?

Steve Cohen: Okay, was war Ihr schlimmster Tag bisher?

Cohen: Ich habe an einem Tag zwischen vier und fünf Millionen US-Dollar verloren.

Steve Cohen: Wie kam es dazu?

Cohen: Ich kann mich noch nicht einmal erinnern. Wenn man sich lange genug an der Börse engagiert, passiert irgendwann alles Mögliche. Was ist Instinkt? Er ist wie ein Ausdruck eines Wissens, das wir nicht erklären können. Ich habe schon mehrmals selbst miterleben können, wie der Instinkt an der Börse funktioniert – wenn Trader, die über dieselben Informationen verfügen wie alle anderen Trader, irgendwie genau sehen können, in welche Richtung der Markt gehen wird. Wenn man Steve Cohen bei der Arbeit beobachtet, bekommt man unweigerlich das Gefühl, dass er einen sechsten Sinn für zukünftige Markttendenzen hat. Dieser Sinn oder Instinkt ist eine Kombination von Talent und Erfahrung und kann nicht unterrichtet werden. Börsenneulinge können kaum erwarten, diesen Instinkt zu haben, aber auch erfahrene Trader haben manchmal keinen. Sogar einige der Market Wizards haben keinen Instinkt; in vielen Fällen waren sie wegen anderer Begabungen erfolgreich an der Börse – beispielsweise durch ihr Talent für die Marktanalyse oder beim Formulieren von Systemen.

Obwohl Steve Cohens Börsenstil nicht kopiert werden kann, bieten seine Börsendisziplinen Orientierungshilfen. Denn genau wie sein Verhalten einige der wichtigsten Eigenschaften der erfolgreichsten Trader demonstriert, enthalten die Geschichten aus seiner Börsenkarriere wichtige Informationen – auch für Börsenneulinge. So liefert er uns beispielsweise ein hervorragendes Modell für wirksame Methoden der Risikokontrolle. Aber so gut er auch ist – auch Steve Cohen macht Fehler, manchmal sogar ziemlich große. Erinnern Sie sich an den Trade, bei dem er IBM kurz vor dem Geschäftsbericht leer verkauft hat? Hier lag er mit seinen Erwartungen völlig falsch, und die Aktie eröffnete nach der Veröffentlichung des Geschäftsberichts mit einer Kurslücke von $18 gegen ihn. Da der Grund für sein Engagement nicht mehr bestand, hat Cohen seine Position sofort gedeckt. Er hat nicht versucht, die Situation zu rationalisieren, und er hat auch nicht versucht, dem Markt noch etwas Zeit zu lassen. Obwohl er schwere Verluste hinnehmen musste, hätte er pro Aktie weitere $10 verloren, wenn er bis zum nächsten Morgen gewartet hätte. Alle Trader machen Fehler – aber großartige Trader minimieren die Schäden.

Für Cohen ist die Verlustminderung zum Reflex geworden. Obwohl man normalerweise viele Jahre braucht, um derartige Fähigkeiten beim Kapitalschutz herauszubilden, hat Cohen einen Ratschlag: „Wenn du glaubst, falsch zu liegen, oder wenn die Kurse in die falsche Richtung laufen, ohne dass du dafür einen Grund siehst, decke die halbe Position. Du kannst sie auch später noch aufbauen.“

Eine weitere wichtige Lehre, die wir Cohens Aussagen entnehmen können, bezieht sich darauf, wie wichtig es ist, den eigenen Anlagestil auf die Persönlichkeit des Traders zuzuschneiden. So etwas wie die einzig richtige Methode für die Börse gibt es nicht. Man muss wissen, wer man ist. Man sollte zum Beispiel nie versuchen, gleichzeitig Daytrader und Anleger zu sein. Man sollte sich eine Methode aussuchen, mit der man sich wohl fühlt.

Ein weiterer Ratschlag Cohens: Man sollte sich immer vergewissern, dass es einen guten Grund für ein Börsenengagement gibt. Eine Aktie zu kaufen oder zu verkaufen, weil sie „zu niedrig“ oder „zu hoch“ notiert, ist kein ausreichender Grund. Wenn das die ganze Analyse ist, gibt es auch keinen Grund für irgendwelche Erfolgserwartungen an der Börse. Ein guter Trader zu werden ist ein ständiger Prozess. Es ist wie ein Rennen ohne Ziellinie. Die Märkte kommen nie zum Stillstand. Auf lange Sicht kann kein Stil und keine Methode allein gute Resultate bringen. Für dauerhaft überdurchschnittliche Renditen muss der Trader fortwährend dazulernen und sich immer wieder neu anpassen. Cohen ist ständig darum bemüht, mehr über die Märkte zu lernen – und seine Erfahrung auf immer neue Aktien, Sektoren und Anlagestile auszuweiten. Wie er selbst erklärt, ist der Börsenhandel für ihn ein ständiger Entwicklungsprozess.


Der Original-Artikel erschien in der Ausgabe 02.2018 im Magazin TRADERS´. Da es sich um einen historischen Beitrag handelt, können sich Personen-, Firmen- und Produktdaten, Webseiten, Software, Strategien, Marktphasen, gesetzliche Regelungen und anderes verändert haben bzw. ungültig geworden sein. Die Aktualität des Artikels bezieht sich somit stets auf das Erscheinungsdatum.

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